„Sir … darf ich mit Ihnen essen?“ Die Stimme des Mädchens war sanft und zitternd – und doch durchdrang sie den geschäftigen Lärm des gehobenen Restaurants wie ein Messer. Ein Mann im maßgeschneiderten Marineanzug, der gerade den ersten Bissen eines trockengereiften Ribeye-Steaks genießen wollte, erstarrte. Langsam wandte er sich der Quelle zu: einem kleinen Mädchen mit zerzaustem Haar, schmutzigen Turnschuhen und Augen, die Hoffnung und Hunger zugleich ausstrahlten. Niemand… En voir plus

„Mein Vater ist gestorben. Dachdeckerarbeiten. Gestürzt. Mama ist vor zwei Jahren gegangen. Ich habe bei meiner Oma gewohnt, aber … sie ist letzte Woche gestorben.“ Ihre Stimme brach, aber sie weinte nicht.

Evans‘ Gesichtsausdruck blieb ausdruckslos, doch seine Finger schlossen sich leicht fester um das Glas Wasser vor ihm.

Niemand am Tisch – weder Emily, noch das Personal, noch die anderen Gäste – konnte wissen, dass Richard Evans einst eine fast identische Geschichte erlebt hatte.

Er war nicht von Geburt an reich. Tatsächlich hatte er in Gassen geschlafen, Getränkedosen für ein paar Cent verkauft und war so oft hungrig zu Bett gegangen, dass er den Überblick verloren hatte.

Seine Mutter starb, als er acht war. Sein Vater verschwand kurz darauf. Er überlebte auf den Straßen Chicagos – nicht weit von Emilys jetzigem Wohnort. Und auch er hatte vor Jahren vor Restaurants stehengeblieben und sich gefragt, wie es wohl wäre, drinnen zu essen.

Die Worte des Mädchens hatten etwas Vergrabenes durchdrungen – etwas, das lange Zeit verschlossen war.
Evans stand auf und griff nach seiner Brieftasche. Doch als er gerade einen Zwanziger herauszog, hielt er inne. Stattdessen sah er Emily direkt in die Augen.

„Möchtest du mit mir nach Hause kommen?“

Sie blinzelte. „Was … was meinst du?“

„Ich lebe allein. Ich habe keine Familie. Du bekommst Essen, ein Bett, Schule. Eine Chance. Aber nur, wenn du bereit bist, hart zu arbeiten und respektvoll zu bleiben.“

Ein lautes Keuchen ging durch das Restaurant. Ein paar Leute flüsterten. Manche tauschten skeptische Blicke.

Aber Richard Evans machte keine Witze.

Emilys Lippen zitterten. „Ja“, sagte sie. „Das würde mir sehr gefallen.“

Das Leben in Mr. Evans’ Stadthaus war eine Welt, die sich Emily nicht hätte vorstellen können. Sie hatte noch nie eine Zahnbürste benutzt, eine heiße Dusche gesehen oder Milch getrunken, die nicht aus einer Suppenküche kam.

Es fiel ihr schwer, sich anzupassen. Manche Nächte schlief sie auf dem Boden neben dem Bett, weil die Matratze „zu weich, um sicher zu sein“. Sie hortete Brötchen in ihrem Kapuzenpulli, aus Angst, es könnte keine Mahlzeiten mehr geben.

Eines Nachmittags erwischte die Haushälterin sie beim Einstecken von Crackern. Emily brach in Tränen aus.

„Ich will einfach nicht wieder hungrig sein.“

Evans schrie nicht. Er kniete sich neben sie und sagte leise etwas, das sie nie vergessen würde:

„Du wirst nie wieder hungrig sein. Versprochen.“

Das neue Leben – die sauberen Laken, die offenen Schulbücher, die von Gelächter erfüllten Frühstücke – hatte mit einer einzigen Frage begonnen:

„Kann ich mit dir essen?“

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