Der neunjährige Caleb Whitman war schon wieder zu spät zur Schule. Seine Turnschuhe klapperten auf dem Gehweg, als er den Parkplatz des Riverside Plaza überquerte, in der Hoffnung, ein paar Minuten zu sparen. Sein Lehrer, Mr. Lawson, hatte ihn am Tag zuvor gewarnt, dass er bei erneuter Verspätung zu Hause anrufen müsse, und Caleb hatte Angst, seine Eltern erneut zu enttäuschen.
Doch auf halbem Weg ließ ihn etwas innehalten. In einem marineblauen Kleinwagen, der in der Sonne geparkt war, saß ein kleines Kind, angeschnallt in einem Kindersitz. Die Wangen des Kindes waren rot, sein Mund öffnete und schloss sich zu verzweifelten Schreien, die kaum durch das fest geschlossene Fenster drangen. Schweißperlen rannen ihm über die Schläfen.
Caleb presste sein Gesicht gegen die Scheibe und ließ seine Fingerknöchel klappern. Kein Erwachsener war zu sehen. Er riss an jeder Türklinke, eine nach der anderen, aber alle Schlösser hielten fest. Sein Puls beschleunigte sich, und das Schreien des Babys verklang zu kurzen, krächzenden Lauten.
Der Platz war unheimlich still. Ein paar Einkaufswagen rollten im Wind, doch weit und breit waren keine Käufer. Die Schule war nur drei Blocks entfernt, doch der Gedanke, sein Kind im Stich zu lassen, packte Caleb. Er verstand genug, um zu wissen, dass Warten tödlich sein konnte.
Er entdeckte ein loses Stück Beton am Rand des Gehwegs. Seine Hände zitterten, als er es hochhob und flüsterte: „Es tut mir leid“, als würde sich das Auto selbst entschuldigen. Mit aller Kraft seiner kleinen Arme schleuderte er es gegen die Seitenscheibe. Der erste Schlag zertrümmerte sie nur, doch die nächsten beiden zersplitterten endgültig.
Vorsichtig griff Caleb hinein, löste die Klebegurte und hob das Baby heraus. Der Körper des Babys war schlaff und feucht und klebte an seiner Brust. Caleb wiegte sanft und murmelte: „Schon gut. Schon gut.“
In diesem Moment ertönte eine entsetzte Stimme hinter ihm: „Was machst du mit meinem Auto?“
Caleb wirbelte herum. Die Frau stürzte auf sie zu und warf zwei Papiertüten, die auf dem Asphalt zerbarsten. Einen Moment lang starrte sie wütend auf das zerbrochene Fenster und den Jungen, der ihr Kind umklammerte. Dann dämmerte es ihr plötzlich. Ihre Wut verwandelte sich in Entsetzen, als sie das Kind näher an sich zog und sein verschwitztes Gesicht mit wilden Küssen überschüttete. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie flüsterte: „Du hast ihn gerettet. Ich dachte, ich wäre nur ein paar Minuten weg. Ich kann nicht glauben, was ich getan habe. Danke, danke.“
Caleb wusste nicht, was er sagen sollte. In der Ferne läutete die Schulglocke und erinnerte ihn daran, dass er schon wieder zu spät war. Er drehte sich um und rannte den Rest des Weges, seine Hände prallten gegen das Fenster, sein Herz hämmerte vor Adrenalin.
Als er ins Klassenzimmer stürmte, begegnete Mr. Lawsons strengem Blick seinem. „Caleb Whitman“, sagte der Lehrer mit scharfer Stimme, „schon wieder zu spät.“
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