Anneliese fastet. Stundenlang kniet sie nieder – hunderte Male am Tag. Ihre Knie werden zu offenen Wunden. Ihre Eltern sehen zu. Die Priester beten. Und niemand greift ein.
Am 1. Juli 1976 – stirbt Anneliese Michel.
In ihrem eigenen Bett. Ausgemergelt. Sie wiegt nur noch 30 Kilogramm. Ihre Haut ist offen, die Knochen sichtbar. Die offizielle Todesursache: Verhungern. Verdursten. Ein Kind Gottes, ausgetrocknet bis zum Tod – im Namen des Glaubens.
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage.
Gegen die Eltern. Gegen die beiden Priester. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung durch Unterlassung. Der Prozess beginnt 1978 und gleicht einem theologischen Tribunal. Medizinische Gutachten treffen auf katholischen Dogmatismus. Die Angeklagten zeigen keine Reue – nur Überzeugung. Sie wollten retten, nicht töten. Sie glaubten – an das Böse. An das Gute. An das Richtige.
Das Urteil: Bewährungsstrafen. Kein Gefängnis. Kein Schuldeingeständnis.
Doch der Fall schlägt weltweit Wellen. Die Geschichte der Anneliese Michel wird verfilmt, diskutiert, seziert. Ihr Grab wird zu einer Pilgerstätte. Bis heute besuchen Gläubige aus ganz Europa den kleinen Friedhof von Klingenberg. Dort, wo ein junges Leben begraben liegt – und mit ihm eine Wahrheit, die nie ganz ausgesprochen wurde.
War Anneliese Michel psychisch krank – oder tatsächlich besessen?
War der Exorzismus ein letzter Versuch, ein zerbrechendes Mädchen zu retten – oder ein mittelalterlicher Irrweg, der ihr das Leben kostete?
Der Fall bleibt offen. Ein düsteres Kapitel inmitten moderner Zeiten.
Er stellt unbequeme Fragen: Was geschieht, wenn Glaube die Medizin ersetzt? Wenn Rituale die Vernunft besiegen? Wenn die Angst vor dem Teufel größer ist als die Verantwortung für das Leben?
Anneliese Michel – Opfer ihrer Krankheit? Ihrer Familie? Oder eines Systems, das das Unsichtbare bekämpfen wollte – und dabei das Sichtbare verlor?
Ein Exorzismus.
Ein Todesurteil.
Ein Fall, der nie zur Ruhe kommt.
